Szenariotechnik: das Prognose- und Analyseinstrument im Überblick
Wer sein Unternehmen steuern will, muss Dimensionen der Zukunft schon heute erfassen können. Dafür greifen Entscheidungsträger auf verschiedene Verfahren zurück. Eine Option ist die Szenariotechnik.
Richtig angewendet gibt diese einem wichtige Hinweise in zweifacher Sicht: zur Steuerung interner Unternehmensprozesse und des Unternehmens am Markt. In diesem Post zeigen wir dir, was es mit der Szenariotechnik auf sich hat und wie man diese im Marketing und für die Geschäftsmodellentwicklung nutzen kann.
Eine kurze Einführung zur Szenariotechnik
Ein Szenario zu entwickeln, um auf Eventualitäten gut vorbereitet zu sein, war im Ursprung schon lange in Kriegsvorbereitungen üblich: Wer jetzt an „Planspiele im Sandkasten“ denkt, liegt genau richtig. Schon bei der Vorbereitung von Strategien sollten mögliche Reaktionen, in diesem Falle des Gegners, vorweggenommen und so in die Planung einbezogen werden.
Als Wirtschaftsinstrumentarium zur Prognose und Analyse kam die Szenariotechnik in den 1970er Jahren in Mode. Hier sind die möglichen Anwendungsgebiete und Fragestellungen vielfältig und variabel. Ein paar Beispiele:
- Analyse und Prognostik bei betriebswirtschaftlichen Themen und KPI (z.B. Cash-Burn-Rate, etc.)
- Analyse und Prognostik in volkswirtschaftlicher Dimension
- Vorbereitung für wirtschaftliche Entscheidungen
- Prognose der Zukunftsaussicht von Unternehmen, Institutionen, Waren und geographischen Gebieten
Strategische Planungen und Entscheidungen sind inzwischen sehr komplex und störanfällig geworden. Lineare Modelle reichen deshalb nicht mehr aus. Die Szenariotechnik erfasst diese Komplexität besser und entwirft mögliche und auch alternative Bilder eines zukünftigen Geschehens. Dabei bedient sie sich klassischerweise mehrerer hintereinander geschalteter Phasen.
Die verschiedenen Phasen der Szenariotechnik
Hier gibt es in der Literatur eine Vielzahl von Modellen mit unterschiedlichen Phasen. Im Folgenden werden wir uns einmal genauer die Phaseneinteilung der Szenariotechnik von GESCHKA und VON REIBNITZ ansehen.
Aufgabenanalyse
Die zum Thema gehörigen Elemente, Kennzahlen und Problemlagen werden erfasst. Der Ist-Zustand wird dargestellt.
Einflussanalyse
Mögliche äußere Einflüsse werden identifiziert, in Gruppen gefasst und in ihrem jeweiligen Einflusspotential eingeschätzt (Deskriptoren).
Trendprojektionen
Die in der vorigen Phase erfassten Deskriptoren werden vom aktuellen Ist-Zustand aus beurteilt. Auf Basis bestehender Prognosen und Erfahrungswerte werden diese in das gewünschte Szenario-Zieljahr projiziert. Wenn diese Aussagen nicht eindeutig und begründbar sind, wird für jede Alternative eine eigene Annahme ermittelt.
Alternativenbündelung
Hier werden nun die erwähnten Alternativannahmen mittels Algorithmen zusammengefasst. Die möglichen Wechselwirkungen werden beschrieben. Aus den Bündeln werden zwei bis drei Beispiele entweder für hohe Widersprüchlichkeit bzw. für Ähnlichkeit gewählt.
Szenario-Interpretation
Auf dieser Vorbereitung werden Szenarien in Teilschritten bis zum angestrebten Szenario-Zieljahr aufgestellt. In jedem Zwischenschritt werden Inhalte abgeglichen und ihre Einflüsse auf den jeweils nächsten zeitlichen Teilabschnitt eingeschätzt.
Störereignisanalyse
Die Geschichte der Menschheit ist stets begleitet von Störereignissen. Diese sind nicht prognostizierbar und haben bspw. technische, politische oder umweltbedingte Gründe und Dimensionen. Diese werden durch Kreativitätstechniken ermittelt, gesammelt und eingepflegt.
Konsequenzenanalyse
Wenn die abgeleiteten Zukunftsszenarien für die Fragestellung abgeleitet, interpretiert und anschaulich dargestellt sind, werden daraus Ideen für die möglichen Maßnahmen gewonnen.
Szenario-Transfer
Eigentlich ist die Szenariotechnik hier abgeschlossen. Es bewährt sich aber, dass vom gleichen Team die gewonnenen Szenario-Konsequenzen in einer letzten Phase schon in strategische Richtlinien und konkrete Maßnahmen skizziert werden.
Die Szenariotechnik im Marketing
Aus Sicht des Marketings will man mit einer geeigneten Fragestellung die globale Zukunft ermitteln. Dies kann verschiedene Perspektiven haben, wie diese Beispiele zeigen:
- Regionale Szenarien: Wie wird die Zukunft in Europa oder Asien?
- Thematische Szenarien: Wie kann die globale Zukunft des Elektroautos aussehen, wie der weitere Verbrauch von Benzin und Erdöl?
- Branchen-Szenarien: Wie sieht die Zukunft der Nahrungsmittelindustrie aus?
Manche dieser möglichen und globalen Szenarien müssen gar kombiniert werden, um zu einer Fragestellung eine aussagekräftige Antwort zu bekommen. Diese Antworten fließen im Unternehmen ein in maßgebliche Abteilungen für Marketing, aber auch für Controlling oder Personalplanung.
Jeder Unternehmer hat damit ein Frühwarnsystem, um negative Trends früh zu erkennen und diesen effektiv zu begegnen. Gleichzeitig können aber auch nutzbare Trends früh und möglichst vor der Konkurrenz erkannt und bedient werden.
Die Szenariotechnik im Bereich Geschäftsmodellentwicklung
Szenarien können ebenso nur auf ein Unternehmen selbst bezogen werden. Hier wird die aktuelle Unternehmenslage in die Zukunft projiziert. Dies ist vor allem bei sehr großen Unternehmen mit entsprechend hohen Risiken üblich.
Doch heute bedienen sich auch KMUs und sogar manch ein Startup der Szenario-Technik. Unabhängig von der Größe des Unternehmens sind auch andere Faktoren mitentscheidend, wie sinnvoll oder gar notwendig der Einsatz der Szenariotechnik ist:
- Branchen mit Einsatz von viel Kapital
- Unternehmen inmitten eines instabilen wirtschaftlichen und sozialpolitischen Umfelds
- Erfahrung und Routine in Anwendung von Management-Techniken
- Hohe Zielsetzungen bei Unternehmen und Institutionen
Beispiele für den Einsatz der Szenariotechnik
Historische Bedeutung gewann die Szenariotechnik durch einige Beispiele, die aufgrund der Thematik und Medienpräsenz bekannt wurden:
In den 1970er Jahren haben Konzerne wie Shell die Szenariotechnik erfolgreich angewendet: Sie haben so die Ölpreiskrise erfolgreich prognostiziert, eingeordnet und bewältigt.
In gleicher Zeit warnte der Club of Rome in seinen veröffentlichten Studien vor den Folgen grenzenlosen Wachstums für den Planeten Erde. Ihre Ergebnisse gingen dabei auch auf die Szenariotechnik zurück.
Unserer Zeit näher ist das Thema Klimawandel: Der Intergovernmental Panel on Climate Change, auch Weltklimarat genannt, hat Szenarien entwickelt, die auf die möglichen Folgen des Klimawandels aufmerksam machen, aber auch auf Strategien, diesen entgegenzuwirken.
Weitere Beispiele für aktuelle globale Szenarien sind z.B.:
- Entwicklungen in Weltpolitik und – handel
- Zukunft der Europäischen Gemeinschaft
- Demografischer Wandel in Deutschland
Neben globalen Szenarien sind natürlich auch im Marketing verschiedene Branchenszenarios besonders interessant. Beispiele hierfür sind:
- Urban Mobility
- Packaging Design der Zukunft
- Anwendungen der Gentechnologie bis 2030
- Nutzung von Voice Search im Marketing-Mix der Zukunft
Fazit: Mit der Szenariotechnik immer einen Schritt voraus
Die Szenariotechnik ist ein sehr gut geeignetes Instrument, um im wirtschaftlichen Kontext Prognostik zu betreiben. Das gilt sowohl für die innere Dynamik eines Unternehmens oder Institution als auch für die zu erwartende Entwicklung eines Marktes oder Umfelds, in dem es sich befindet.
Wichtig ist, dass alle Phasen solide und sachgerecht durchlaufen und in einem sich wechselseitig fordernden Team entwickelt werden. Anders als bei linearen Projektionen entsteht ein Blick durch einen Trichter auf den gewählten Zeitzielpunkt.
Dieser Trichter bietet Raum für mehrere unterschiedliche Szenarien. So ergeben sich für jeden Zeitabschnitt Handlungsalternativen. Je länger der zu schätzende Zeitraum ist, umso größer werden der Trichter und die Abweichung möglicher innenliegender Szenarien.
Bei aller möglicher Präzision bleibt also stets ein Rest Unsicherheit, der aber dem Leben und auch dem unternehmerischen Handeln einen gewissen Reiz gibt.