Regionalmarketing: Prof. Dr. Seidel bei TV Oberfranken „Impuls“

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Prof. Dr. Seidel und Achim Hager im TV-Studio von TV Oberfranken

Regionalmarketing: Prof. Dr. Seidel bei TV Oberfranken „Impuls“

Prof. Dr. Michael Seidel und Achim Hager beim „Impuls“-Talk zum Thema Regionalmarketing

 

Prof. Dr. Seidel diskutierte am 02. Juli gemeinsam mit Achim Hager bei TV Oberfranken über die Bedeutung von Regionalmarketing für Städte und Regionen, wie es funktioniert und wie wichtig dieses Thema auch für unsere Region ist. Wir haben das 30-minütige Interview hier exklusiv für euch zum Nachlesen.

Achim Hager: Regionalmagazin made in Oberfranken, wir diskutieren heute mit einem der Experten der deutschen Szene, wenn es um Regionalmarketing geht. Es ist mir eine ganz große Freude, dass Prof. Dr. Michael Seidel von der Hochschule Hof heute Abend bei uns ist. Guten Abend, Herr Dr. Seidel!

 

Prof. Dr. Michael Seidel: Guten Abend, Herr Hager.

 

Hager: Herr Dr. Seidel, der belesene Oberfranke, der hat Ihren Namen sicherlich schon mal gehört, aber dass Sie zu den absoluten Favorites, zu den Favoriten, zu den Gurus in der Szene gehören, das ist vielleicht für mache Neuland. Wer ist dieser Dr. Michael Seidel?

 

Seidel: Dieser Dr. Michael Seidel, der begann in der Textilindustrie im Alter von 18 Jahren musste ich den elterlichen Familienbetrieb übernehmen, habe das Unternehmen dann 15 Jahre geführt. Parallel dazu war ich Geschäftsführer einer der Pionierinitiativen im Regionalmarketing in Deutschland, nämlich hier in Hochfranken beim ehemaligen Bundesminister Dr. Jürgen Warnke und dann kam der Ruf an die Hochschule, wo ich den Lehrstuhl habe für Entrepreneurship und Regionalmarketing.

 

Hager: Was treibt Sie an? Also was treibt Sie vor allem in diesem Thema so an?

 

Seidel: Vielleicht auch ein bisschen gegen den Strom schwimmen. Der Großteil meines Abiturjahrgangs ist in die großen Metropolen gegangen, hat dort Karriere gemacht. Und ich habe letztens gehört, das Thema Existenzgründung sei ein urbanes, also städtisches Phänomen. Ich möchte eigentlich das Gegenteil beweisen. Ich möchte beweisen, dass es möglich ist, im ländlichen Raum richtig gut Karriere zu machen, denn der hat unglaubliche Potenziale, gerade auch hier in Oberfranken.

 

Hager: Das wollen Sie auch mit dem digitalen Gründerzentrum beweisen, was ja in Hof ansässig ist als eines von zwei digitalen Gründerzentren. Was soll da passieren?

 

Seidel: Es geht darauf, diesen Megatrend Digitalisierung, der alle anbetrifft, die privaten Haushalte, aber vor allem die Firmen in Oberfranken, zu unterstützen. Und zwar konkret zu unterstützen durch die Zusammenarbeit zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen. Von denen haben wir ja durch die Industriedichte in Oberfranken unheimlich viel. Diese beiden Akteure, Gründer und Firmen haben sich ganz viel zu sagen und zu geben.

 

Hager: D.h. das Projekt wird jetzt anlaufen, es wird jetzt starten in den nächsten zwölf Monaten soll schon die Bauphase beginnen. Wann kann man mit ersten Aktionen rechnen? Oder läuft schon hinter den Kulissen das eine oder andere, was man jetzt schon nutzen kann?

 

Seidel: Na ja, wir haben im Januar durch die Staatsministerin Aigner den Fördermittelbescheid begonnen und dann ein Monat durchgeschnauft und dann sofort mit den Netzwerkaktivitäten begonnen. Da sind schon zwölf große Veranstaltungen gelaufen, parallel dazu bilateral die Vernetzung zwischen Gründern und Firmen. Also wir sind mitten drin, aber klar ist natürlich, wir müssen das alles ein bisschen einfangen in einen repräsentativen Bau mit Co-working Space und allem. Und den wollen wir dieses Jahr beginnen und nächstes Jahr fertigstellen.

 

Hager: Also die Ideen gehen Ihnen nicht aus. Haben Sie sich denn über Bestehendes seinerzeit irgendwie geärgert und wollten etwas verändern? Oder gab es damals noch gar nichts Bestehendes, wie Sie zum Thema Regionalmarketing dazu gestoßen sind? Was hat Sie da am meisten bewegt?

 

Seidel: Es war tatsächlich Neuland. Und früher hieß diese Region hier Nordost-Oberfranken. Wir sind damit mal zu einer Marketingagentur und wollten eine Strategie. Und die haben gesagt: „Wisst ihr was, ihr habt erstklassige Referenzen, ehemaliger Bundesminister, aber für eine Region, die Nordost-Oberfranken heißt, gibt es keine Marketingstrategie, ihr müsst den Namen ändern.“ Und dieses Wort Hochfranken kommt ja aus der Bevölkerung. Das ist von den Bürgern selber getragen und ich denke, das war die Voraussetzung für einen Imagewandel in der Region. Das reicht natürlich nicht aus. Man braucht materielle Projekte, Arbeitsplätze. Aber die sind ja in Hochfranken entstanden, wenn ich mir allein die Arbeitslosenzahl anschaue, die mal bei 13 Prozent lag, die jetzt teilweise bei drei Prozent liegt.

 

Hager: Ich meine, haben Sie sich dann aus dem Regionalmarketing-Verein, nennen wir es mal so, verabschiedet und haben gesagt: „Für mich ist das jetzt genug. Ich gehe jetzt rein in die Lehre – insbesondere in die Gründungslehre an der Hochschule Hof.“ Gab es da einen besonderen Grund?

 

Seidel: Mir hat die Arbeit an Hochschulen und speziell die Forschung immer viel Spaß gemacht. Und an der Hochschule Hof, das ist eine junge, innovative Hochschule, gibt es sehr viele Freiheiten, an innovativen Feldern zu forschen. Und da ist das Thema Gründung, das Thema Regionalentwicklung natürlich mitten im Fokus, auch um wieder in die Region hineinwirken zu können.

Hager: Merkt man diesen Ruf nach Hof an den Lehrstuhl auch überregional mittlerweile? Sie haben ja jetzt ein neues Standardwerk, wenn man es mal so bezeichnen will, herausgebracht: Regionalmarketing als räumliches Steuerungs- und Entwicklungsinstrument. Ich würde sagen, eines der wohl in Kürze, nicht, – es ist schon erschienen – aber in Kürze in der Rangliste ganz oben stehendes Lehrbuch zu diesem einzigartigen Thema. Wird man da gehört in anderen Regionen auch?

 

Seidel: Definitiv, der Punkt ist ja, dass es eine Forschungslücke war. Es gab zwar unheimlich viele Regionalinitiativen, landauf, landab. Aber das waren alles eher erratische Fallbeispiele, und die wissenschaftliche Klammer hat gefehlt. Was ist denn der Erfolgsfaktor, wie macht man es richtig? Was unterscheidet auch Marketing bei Regionen von Marketing bei Produkten oder Firmen? Das musste alles mal systematisch erarbeitet werden, und das war mir einfach ein Anliegen. Es waren aber auch drei Jahre Arbeit, die damit verbunden waren.

Hager: Wollte es gerade sagen, Sie sprachen vorgestellt von 2000 Stunden, die Sie reingesteckt haben.

 

Seidel: Ja.

 

Hager: Sie spielen seit Jahrzehnten passioniert auch Schach und zwar auf höchstem Niveau. Gibt es da Parallelen, was man in beiden Feldern, also in dem privaten und in dem geschäftlichen, im Lehrumfeld vergleichen kann?

 

Seidel: Na ja, Schach ist ja ein Strategiespiel. Da spielen zwei Armeen gegeneinander, so ist Schach ursprünglich entstanden. Und die Parallele zum Regionalmarketing ist sicher, dass auch Regionalmarketing eine Strategie braucht, eine konzeptionelle Grundlage. Das wird oft vergessen. Man subsumiert Regionalmarketing mit Werbung, mit irgendwelchen Broschüren. Das ist es nicht, das ist es nur am Ende. Zuerst steht aber der strategische Prozess. Das ist die Parallele zwischen beiden. Den Unterschied würde ich darin sehen, dass Schach logisch ist und Regionalmarketing zu großen Teilen auch psychologisch. Sprich da sind soziale, politische Prozesse ganz stark.

 

Hager: Regionalmarketing ist kein Broschürendrucken, es ist strategisch, es ist landesplanerisch, es hat normalerweise mit der klassischen Denkweise im öffentlichen Dienst nichts gemein. So kann man es in dem Buch zusammenfassen. Warum gibt es dann all diese Abteilungen überhaupt in den Landratsämtern und Städten?

 

Seidel: Na ja, das hat wesentlich zwei Gründe. Zum einen passiert in der Welt mehr. Die Welt dreht sich schneller, wir hatten früher Strukturwandel, Globalisierung. Wir haben jetzt Digitalisierung, demografischen Wandel, sprich die Gebietskörperschaften finden sich heute in der Lage, Themen zu managen, die sie früher nicht managen mussten. Früher waren die Verwaltungen Verwaltungen und heute müssen sie strategische Einheiten sein. D.h. es braucht strategische Entwicklungsinstrumente, Vermarktungsinstrumente, die es früher nur in der Wirtschaft gab. Das ist Punkt eins. Und der zweite Punkt ist ein gruppendynamischer Prozess, wenn immer mehr Regionen sich vermarkten, dann kommen die unter Druck, die das nicht tun, schon politisch. Das ist wie im Kino, wenn die vordere Reihe aufsteht, muss ich auch aufstehen, um was zu sehen.

 

Hager: Sehr schönes Bild. Was fehlt denn diesen Akteuren konkret, was in der freien Werbewirtschaft oder wo man das Ganze möglicherweise professioneller aufsetzt, anders gemacht werden würde?

 

Seidel: Um es auf einen Satz zu bringen: der klare Fokus auf den Kunden. Das Paradigma des Marketings ist ja alle Überlegungen in einer Organisation, in einer Firma systematisch auf den Kunden auszurichten. Und diese Denkweise ist Behörden – ich sage bewusst – zurecht gar nicht in die Wiege gelegt, insofern sie Verwaltungen sind. Wenn Sie aber heute die Region strategisch gestalten müssen, dann müssen Sie den Kunden im Auge haben, Sie müssen sich überlegen: „Wer bin ich überhaupt? Was ist die Identität meiner Region?“ Und aus den Stärken heraus bestimmte Zielgruppen identifizieren. Eher weniger als mehr, und diese dann adressieren.

 

Hager: In Ihrem – nennen wir es – neuen Standardlehrwerk diskutieren Sie ja auch die Einordnung überhaupt von Regionalmarketing, weil es in vielen Lehrbüchern überhaupt nicht vorkommt. Ist es denn so, dass sich Regionen überhaupt relativ schwierig promoten lassen, weil sie eben so vergleichbar sind, weil die Variablen, die da genannt werden, wie weiß ich, günstige Mietverhältnisse und schöne Landschaft ja sich irgendwo auch doublen und überall vorkommen, weil es jeder auch gern schreibt?

 

Seidel: Schauen Sie, wenn Sie ein iPhone nehmen, dann ist das ein kompaktes Produkt, das kann ich in die Hand nehmen. Eine Region ist viel komplexer. Das ist eine Entität aus unterschiedlichsten Aspekten, soziale, kulturelle, sportliche, wirtschaftliche, um nur einige zu nennen. Das ist der sogenannte Querschnittsbezug des Regionalmarketings. Und darum ist dieses Produkt, sage ich mal, wesentlich komplexer zu vermarkten. Das ist also wirklich eine schwierige Aufgabe, die viele auch unterschätzen. Viele denken, Sie nehmen das Stadtwappen und das ist mein Logo, meine Corporate Identity, dabei ist es eben nicht geeignet für Zielgruppen heute.

 

Hager: Aber kann man eigentlich diese ganzen operativen Anstrengungen außer mit dem Bauchgefühl der einzelnen Gemeinde- oder Stadträte, Kreisräte, kann man die außerhalb des Bauchgefühls überhaupt messen, was dabei rauskommt aus den verschiedenen operativen Dingen?

 

Seidel: Da würde ich differenziert antworten. Man kann Images – und das ist ja der Zielkorridor des Regionalmarketings – sehr gut messen. Das können wir mit der empirischen Sozialforschung. Wir haben bei meinem Kollegen Riedl an der Hochschule ein Marktforschungsinstitut, wo wir solche Sachen ständig machen. Das geht. Ich kann auch Images tracken. Wir schauen uns z.B. in Vierjahresrhythmen das Image der Region Hochfranken an und können dann Veränderungen lesen, positiv, negativ, gleichbleibend. Was schwierig zu messen ist, richtig schwierig ist, was hat die Regionalinitiative, das Regionalmarketing dafür gekonnt, ja? Auch beim Standortmarketing, wo es ja um Arbeitsplätze geht, schafft ja die Regionalinitiative nicht direkt Arbeitsplätze, sondern die mittelständischen Unternehmen.

 

Hager: Die Frage ist auch ein bisschen, was im Buch angesprochen wird, wie groß muss denn eine Region sein, dass es überhaupt sinnhaft ist, ein Konzept aufzulegen? Sie schreiben ja, es gibt zwei Grenzen. Das eine ist die Grenze nach unten, ist ein Gebiet zu mickrig, dass es überhaupt wahrgenommen wird, kann man sich Regionalmarketing gleich schenken. Ist es zu groß, dann wird es zum – Sie schreiben – Gemischtwarenladen, weil da so viele Sachen darin vorkommen, dass man da gar keinen Deckel draufbekommt, um einen Wiedererkennungswert herzustellen. Was ist die richtige Größe?

 

Seidel: Das ist es eben, dass es dafür keine Normstrategie gibt, keine Zahl an Bevölkerung oder an Quadratmetern Fläche, die als Indikator sinnvoll ist. Bleiben wir mal beim Wirtschaftsstandort Marketing, wo ich also jetzt nicht auf Tourismus schaue, auch nicht auf Querschnittsbezug, sondern nur auf die Wirtschaft. Da ist es so, dass sich z.B. neben wir die Stadt Hof oder die Stadt Kulmbach oder die Stadt Bayreuth, dass sich eine Wirtschaftsstrategie für so eine Einheit nicht formulieren lässt, weil sie viel zu klein ist. Die kritische Masse ist nicht groß genug, also dass Investoren darin klare Standortvorteile sehen. Das klappt aber im Verbund mit den Landkreisen drum herum. Deswegen reden wir in der Wissenschaft auch von sogenannten funktionalen Wirtschaftsregionen, nämlich Räumen, die durch bestimmte Standortfaktoren homogen sind und sich dadurch von anderen Regionen unterscheiden. Beispiel Ostoberfranken ist von der Branchenstruktur ganz unterschiedlich etwa zur Wirtschaftsregion Bamberg-Forchheim, die sehr stark durch die Metropolregionen beeinflusst sind und Nürnberg-Erlangen-Fürth. Das bedeutet, man muss in diesen Räumen unterschiedliche Strategien fahren und das bedeutet auch, dass einheitliches Standortmarketing – also ich bin immer noch im Wirtschaftsbereich – für ganz Oberfranken keine sinnvolle Strategie wäre.

 

Hager: Wäre die nächste Frage gewesen: wie ist es mit Oberfranken überhaupt zu betrachten? Wir haben jetzt Kronach Creativ, ein Beispiel gesehen, Sie sprechen Hochfranken letztendlich an. Es gibt noch nördliches Fichtelgebirge. Sind das überhaupt geeignete Ebenen, vor allem in die Marke Oberfranken wurde sehr, sehr viel Geld investiert, es wurde sehr kontrovers diskutiert in der Öffentlichkeit, was das rein für das Logo und für die Markenbildung da ausgegeben worden ist. Ist das überhaupt eine sinnvolle Ebene, zumindest für das Thema Wirtschaftsstandort?

 

Seidel: Nein. Man muss sich überlegen, was man will. Wenn ich mir jetzt Oberfranken anschaue, dann ist eine bindende Klammer einmal der Regierungsbezirk, dass man sagt: Okay, ich habe eine gewisse Bündelungsfunktion für verschiedene andere Initiativen, die es auch gibt, legitimerweise. Aber ich suche mir eben den Mehrwert raus, der für Oberfranken für alle interessant ist. Und das ist für mich das Thema Genussregion. Warum? Weil jede Region, jede Teilregion Oberfrankens da was einbringen kann. Denken Sie an den Schnaps und das Bier aus der fränkischen Schweiz oder die Hofer Rindfleischwurst. Ich könnte noch viele andere Beispiele bringen. Das geht direkt durch die Sinne, emotional, das spricht die Leute an und da ist Oberfranken richtig stark.

 

Hager: Das geht Richtung Tourismus dann mehr.

 

Seidel: Definitiv, ja.

 

Hager: Also das hat mit dem Thema Wirtschaft dann ja nur indirekt letztendlich was zu tun.

 

Seidel: Korrekt, ja.

 

Hager: Klar, Tourismus ist ein großer Wirtschaftsfaktor letztendlich. Also man muss ein Fragezeichnen hinter manchen Oberbegriff dann machen und weil man versucht ja immer auch – Metropolregion ist ja das Nächste. Dieses nächste Dach zu suchen, unter das man schlüpft, um dann gar nicht mehr entdeckt zu werden.

 

Seidel: Genau.

 

Hager: Wer kein Produkt hat, das er bewirbt, und trotzdem trommelt, den bezeichnen Sie als Schaumschläger, schreiben Sie im aktuellen Werk. Wir haben viele Regionen, die haben eigentlich in Wirklichkeit gar nichts zu bieten.

 

Seidel: Na ja, mit der Wertung muss man sehr vorsichtig sein, aber es gibt Regionen, ich sage mal, wo kaum Straßeninfrastruktur ist, kaum Wirtschaft, auch keine touristischen Potenziale. Da muss man ganz locker bleiben und vielleicht mal das Zitat von Jack Welch, dem bekannten amerikanischen Management-Guru einflechten: If you don’t have a competitive advantage, don’t compete. Ja, also wenn du keinen Wettbewerbsvorteil hast, dann lass es bleiben. Aber das gilt vielleicht für fünf Prozent aller Regionen. Alle anderen haben Potenziale, sie wissen nur nicht, wie sie die geeignet an den Mann bringen.

 

Hager: Aber es fallen doch gerade die gut auf, die mit einem einzigen Wohlfühlslogan sich irgendwo in das Gehirn einbrennen, das Gemüt erwischen, das reicht doch schon oft. Braucht man da so viele Variable noch drunter, wo man es dann runterdekliniert?

 

Seidel: Ja, das muss man, glaube ich, länger zu Ende denken. Die kurzfristige Effekthascherei mag funktionieren. Beispiel: Ich sehe eine Webseite einer Region, die fixt mich an, ich fahre da hin. Aber wenn ich dann im Urlaub zum Ergebnis komme, die Region hält nicht, was sie verspricht, dann ist das für mich eine Mogelpackung. Und in Zeiten sozialer Netzwerke, bei Reiseblogs oder Facebook Postings kann man der Region damit keinen wirklichen Gefallen tun. Also tue Gutes und rede darüber. Und das „rede darüber“ ist der zweite Schritt, erst muss ich die Region gut entwickeln und auch wirklich Mehrwerte für den Kunden haben.

 

Hager: Schauen wir uns inhaltlich Oberfranken an, gerne auch Hochfranken, wo Sie selber Geschäftsführer waren. Was sind so typische Sachen, mit denen man da punkten würde jetzt in Sachen Wirtschaftsstandort zum einen, vielleicht Tourismus zum anderen.

 

Seidel: Na gut, Oberfranken ist eine tolle Industrieregion, der Strukturwandel ist durch, Arbeitslosenquoten geringer als selbst die alten deutschen Länder. Das ist perfekt, alles gut. Ansiedlungsmarketing ist kein großes Thema, denn es gibt nicht wirklich viele Neuansiedlungen. Also geht es darum, die bisherigen Branchen zu stärken und vor allem in Richtung Technologie zu arbeiten, gerade mit den digitalen Gründerzentren ist die Region da auf einem guten Weg. Und im touristischen Bereich, da sehe ich z.B. das Fichtelgebirge, den Frankenwald, aber auch fränkische Schweiz und weitere Regionen als hochgradig interessant an. Aber sie finden nach außen zu wenig statt. Wir merken das in unseren Imageanalysen. Ein gutes Image fußt auf Bekanntheit, nur wenn ich etwas kenne, kann ich auch positive Assoziationen entwickeln. Da muss die Region an sich arbeiten.

 

Hager: Also diese Marken sind – weil das wäre eigentlich die nächste Frage gewesen – nicht so aufgeladen, wie sie aufgeladen gehören? Also all die genannten, die Sie jetzt gerade aufgezählt haben.

 

Seidel: Das ist absolut richtig. Ich denke, wenn man über Marken spricht, muss man sich über die Wettbewerbssituation, über das Spielfeld im Klaren sein, in dem man spielt. Frankenwald und Fichtelgebirge als Wanderregionen konkurrieren allein in Deutschland mit 18 bis 20 weiteren Regionen. D.h. die Antwort auf die Frage muss her: Warum soll ich Urlaub im Frankenwald oder im Fichtelgebirge machen. Und das muss man viel stärker spielen. Dazu sind die Budgets nicht ausreichend.

 

Hager: Es mutet fast ein bisschen bizarr an, diese sofortige ablehnende Haltung der Bevölkerung gegen den Nationalpark Frankenwald, eine staatliche Marketingoffensive fuhr ja eigentlich, natürlich der Flächenverbrauch, die Flächenstilllegung über zehn, elf Prozent, was natürlich den Waldbestand, der wirklich schlagbar ist, reduzieren würde, ich habe es gelesen. Wie stehen Sie dazu?

 

Seidel: Na gut. Ich würde mir zunächst mal eine etwas unaufgeregtere Diskussion zu dem Thema wünschen. Aber auch da: tue Gutes und rede darüber. Die ohne Frage mit einem Nationalpark verbundene Marketingkampagne ist nicht schlecht, aber wir müssen gucken, was ist drin. Und wenn ich mein eigenes Urlaubsverhalten anschaue, warum hatte ich schon Urlaube mit meiner Familie im Bayerischen Wald? Doch nicht, weil das Nationalpark ist, sondern weil ich ein tolles Hotel gefunden habe, tolle Attraktionen. Weil auf der Homepage auch Packages waren, die mir sofort gezeigt haben, was kann ich dort erleben. Die haben mich sofort abgeholt. Daran muss die Region arbeiten und da ist z.B. die Idee von Landrat Bär mit diesen Hängebrücken, das wäre wirklich ein Punkt, der die Region überregional in die Schlagzeilen bringt, der dieses „tue Gutes“ einlöst, der echte Attraktionen bringt, über die ich dann eigentlich gar nicht reden muss, weil sie automatisch sich verbreiten.

 

Hager: Was sind denn geeignete Kanäle heutzutage, um solche Nachrichten zu verbreiten? Also wie findet eine Region Ihre Fans idealerweise?

 

Seidel: Also bleiben wir mal beim Tourismus und da ist die auf den Punkt gebrachte Botschaft einfach die, dass heute alles über das Web geht. Interessanterweise auch bei älteren Zielgruppen. D.h. ich muss die Region zentral auf einer Werbeplattform bewerben, richtig attraktiv, mit Funktionalitäten wie Chat, bidirektional, aber natürlich auch online Buchungsportal. Wer das nicht hat, spielt eigentlich im Tourismusmarkt der Zukunft keine Rolle. Ganz wichtig ist auch, nehmen wir mal den Frankenwald, dass Akteure, die touristisch unterwegs sind, wie der Frankenwald-Verein, die Tourist Info und der Naturpark, dass die eine gute Homepage haben, eine gute Internetplattform, und nicht drei, die sagen wir mal, suboptimal sind.

 

Hager: Wer ist denn nach innen gesprochen der wichtigste Transporteur für gute Meldungen. Ich las da was von Taxifahrern z.B. Vielleicht können Sie dazu einen Satz sagen.

 

Seidel: Es gibt so ganz interessante Schlüsselzielgruppen beim Regionalmarketing, Taxifahrer und Lehrer. Warum? Weil das Multiplikatoren sind. Wer in die Region kommt und z.B. am Bahnhof sich vom Taxi chauffieren lässt, bekommt einen ersten Eindruck. Und für diese Visitenkarte gibt es bekanntlich keine zweite Chance. Die sind ganz wichtig. Aber auch Lehrer. Die Lehrer müssen die Meinung transportieren, das ist eine tolle Region zum Leben, zum Arbeiten, man kann gerne mal weg, aber auch dann später in der Biografie wieder zurück in die Region kommen.

 

Hager: Was kann man denn eigentlich als Ergebnis erwarten bei kleinen Budgets und vor allem bei dieser kleinteiligen Regionalmanagement-Förderung, die bis auf Landkreisebene runtergeht, also in die kleinste Einheit?

 

Seidel: Bleiben wir mal beim Tourismusmarketing und beim Frankenwald, Budget 750.000 Euro, fünf Leute. Ein Großteil des Budgets ist durch die Personalausgaben weg, zwei, drei Messeauftritte und dann war es das. Sprich mit diesem Input mache ich überhaupt kein Tourismusmarketing, das ist weit unter der Untergrenzer jeder Wahrnehmbarkeit. Darüber müssen sich die Träger im Klaren sein. Es ist völlig irrelevant zu sagen, ich habe da zu wenig Geld. Wenn ich das nicht habe, kann ich in dem Spiel nicht sichtbar sein. Eine andere Kiste ist die Regionalmanagement-Förderung, die früher eher an größeren Regionen angesetzt hat, die heute auf Landkreisebene ansetzt. Das möchte ich gerne kritisieren. Das Heimatministerium macht ganz viel richtig, Bayern ist ein tolles Land, aber Regionalmanagement auf Landkreisebene ist eigentlich ein Missverständnis des Begriffs Region. Da sind wir uns in der Wissenschaft auch einig. Ich muss da an größeren Einheiten ansetzen, sonst verliere ich mich im Klein-Kein und auch da ist dann die Belohnung die Unsichtbarkeit. Also Bündelung ist das Motto.

 

Hager: Ist der Verweis zu der Runde, die wir ganz am Anfang hatten in dieser Sendung, Menschen zu motivieren, Menschen zu begeistern, Employer Branding ein ganz wichtiger Begriff. Sie messen dem Regionalmarketing eine ganz entscheidende Rolle als Sparringspartner für die Gewinnung von Mitarbeitern zu.

 

Seidel: Genau. Für die Firmen, die wir in Oberfranken haben, wir haben ja einen extrem starken Mittelstand und ich sehe den Mittelstand als Gewinner in den Firmengrößenklassen. Die Gefahr ist, dass die nicht mit Fachkräften versorgt werden. Und die ist deswegen gefährlich, weil viele junge Menschen in die Metropolen abwandern. Das hat viele Gründe, junge Menschen sind viel mobiler als früher, aber die Märkte sind auch größer, Arbeitsmärkte, Partnermärkte auch. Ich war mit einem Freund in München unterwegs, wir steigen U-Bahn Leopoldstraße aus, er zeigt mir die Banken, die Versicherungen, die Konzerne und sagt: Ich habe hier zehn neue Optionen zu arbeiten. Im ländlichen Raum ist der eine Arbeitgeber, wenn es da nicht klappt, eventuell dann der Umzug.

 

Hager: Passt die Überschrift in der „Zeit“ dazu: Sie hassen die Region. Gemeint waren die jungen Menschen, der Brain Drain, der Abzug von geistiger Klasse in die großen Metropolregionen hinein. Wie kann eine Gegenstrategie aussehen?

 

Seidel: Also der Aufmacher der Zeitung war natürlich wahnsinnig plakativ. Wenn ich mit den Studenten rede, hassen die nicht die Provinz, die haben eigentlich zu Regionen ein relativ neutrales Verhältnis, außer dass die Metropolen cool sind. Aber sie sind irgendwann nicht mehr cool, wenn man rational mal auch über die Kosten nachdenkt, über die Schicksalsgemeinschaft der Wohnungssuchenden in München, da kommt man dann mit 25 und eine nächste Schwelle ist vielleicht 30, 35 schon mal ins Grübeln. Und wenn wir es dann schaffen, die langfristigen Vorteile auch mittelständischer Firmen, die nachhaltigere Geschäftsmodelle haben. Die als hidden Champions hier wahnsinnig erfolgreich sind, in den Vordergrund zu rücken, dann haben wir gewonnen. Warum ist das Regionalmarketing da wichtig? Na ganz einfach, weil eine Firma mit 100, 200, selbst 300 Leuten keine HR-Abteilung hat, die können dann mit dem Regionalmarketing gebündelt besser sich bemerkbar machen.

 

Hager: Herr Dr. Seidel, wir haben jetzt viel gehört in dieser Sendung, eine Schlussfrage ist mir noch übrig geblieben aus diesen ganzen kleinteiligen Einheiten, die da gefördert worden sind. Es gibt auch noch politische Gründe, warum oft in diesen kleinteiligen Fördermechanismen, wo Geld investiert wird, nicht viel Marketing herauskommt, beschreiben Sie in Ihrem Werk.

 

Seidel: Genau, wir sehen das eigentlich deutschlandweit, europaweit, das Thema Regionalmarketing fasziniert. Ganz viele Akteure machen sich da auf und haben am Anfang so ein stimulating High: Jetzt tun wir was Gutes für die Region. Wenn die dann merken, wie komplex Regionalentwicklung ist, wie viele Schnittstellen bestehen, kühlt sich das Mühlchen ab und läuft dann aus. Das ist schade. Es braucht eigentlich Bündelungsplattformen. Nehmen wir noch mal das Beispiel Hochfranken. Da gibt es drei oder vier Akteure, die mit unterschiedlichen Logos, mit unterschiedlichen optischen Erscheinungsbildern und Webauftritten für die Region werben. Das versteht auf Seite der Zielgruppen kein Mensch. Wir haben Studierende aus China, aus Indien, die denken in viel größeren regionalen Einheiten und sagen: Kinders, ihr könnt euch doch für diese kleine Region mal ein bisschen bündeln, das muss doch eigentlich zu schaffen sein.

 

Hager: D.h. viel Klein-Klein, wenig Sichtbarkeit am Ende des Tages. Welche Kompetenzen und welche Rolle kann am Ende die Hochschule vielleicht spielen und beitragen, um da ein bisschen Licht reinzubringen und das Ganze zu befruchten?

 

Seidel: Na gut, die Hochschule hat ja zwei klassische, traditionelle Aufgaben. Einmal Forschung, einmal Lehre. Und in den letzten Jahren wird ganz intensiv die sogenannte Third Mission, die dritte Mission diskutiert, nämlich in die Region hineinzuwirken. Das merkt man auch. Einer der bekanntesten Experten für Wirtschaftsförderung in Deutschland hat letzhin gesagt: „Erfolgreiche Regionen sind solche mit Hochschulen.“ Bedeutet aber nicht, dass jetzt in jeder Kleinstadt eine Fakultät oder eine Zweigstelle angesiedelt werden muss, sondern Distanzen von 70, 50 Kilometern sind da überhaupt kein Problem. Was kann Hochschule konkret leisten? Beispiel im Marketing für Gründer: Images messen, sodass man weiß, wo man eigentlich steht. Strategische Planung machen, die Region einordnen in Positionsmodellen mit ihren Stärken in den Wettbewerb der Regionen. Nur wenn man das macht, diese Analyse, dann ist auch der Weg klar, zu welchen Zielgruppen. Also die Hochschule kann da in vielfacher Weise wissenschaftlich begleiten.

 

Hager: Herr Dr. Seidel, ich bedanke mich fürs Hiersein. Es war wirklich ein Par­force­ritt dieses Thema, ein halbstündiger. Ich wünsche Ihnen zuhause und den oberfränkischen Regionen und Politikern, hieraus einige Gedanken mitzunehmen für unsere Heimat Oberfranken. Das war die Juli-Ausgabe von Impuls bei TVO. Bis zum nächsten Mal.

 

Das gesamte Video zum Interview findest du hier.

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Niko Emran

Hi, ich bin Niko. Als Netzwerkmanager im Einstein1 bin ich für das Online Marketing und die Beratung und Betreuung von Gründern und Startups zuständig.

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